
Weg von der Straße
Seit fast 30 Jahren engagieren sich weltweit verschiedenste Organisationen für das Menschenrecht auf Wohnen. Festgeschrieben ist es in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Wenn eine geeignete Unterkunft fehlt, dann sind auch viele andere Menschenrechte bedroht, zum Beispiel das Recht auf Gesundheit und Leben, das Recht auf Teilhabe und das Recht auf Familie.
1992
Start in New York City
Der Psychologe Sam Tsemberis gründet „Pathways to Housing, Inc.“ Die Non-Profit-Organisation entwickelt „Housing First“ für Obdachlose mit schweren psychiatrischen Erkrankungen – der Grundgedanke: zuerst die Wohnung, dann unterstützende Hilfe je nach Bedarf. Nach vier Jahren waren 88 Prozent der Teilnehmer noch in ihrer Wohnung.
2005
600 Teilnehmer jährlich in Kanada
In Toronto, Kanada, startet das Projekt „Streets to Homes“: Nach einem Jahr sind 90% der Klienten noch in einer Wohnung. In den ersten drei Jahren werden ca. 600 Personen pro Jahr in Wohnungen untergebracht.
2006
Housing First kommt nach Europa
In Amsterdam startet das Projekt „Discus Housing First“. Die Teilnehmer zahlen einen Teil der Miete und erklären sich damit einverstanden, an einem Programm zum Umgang mit Geld teilzunehmen – die Erfolgsrate bei einer Evaluation 2013: 97 Prozent. 2014 gibt es schon in 14 Städten in den Niederlanden Housing-First-Angebote.
2007
Mehr Zeit zu Hause
Das Alex Health Center in Alberta, Kanada, startet ein Housing-First-Projekt. Im Vergleich zur Zeit davor waren die Teilnehmer 66 Prozent weniger Tage im Krankenhaus; 38 Prozent weniger Tage in Notaufnahmen und 79 Prozent weniger Tage im Gefängnis.
2008
In fünf Jahren zur nationalen Strategie
Beginnend mit den Olympischen Winterspielen 2008 in Vancouver startet die kanadische Regierung in fünf Städten das Housing-First-Projekt „At Home/Chez Soi“. Wissenschaftler weisen durch eine Kontrollgruppe nach, dass Housing First bei der Bekämpfung von Obdachlosigkeit erfolgreicher ist als traditionelle Ansätze. Fünf Jahre später wird Housing First zur nationalen Politik gegen Obdachlosigkeit in Kanada.
2008
Housing First für Drogenabhängige
Die Organisation „Turning Point“ in Glasgow, Schottland, stellt ein Housing-First-Programm vor allem für Drogenabhängige auf die Beine. Größtes Hindernis im Vorfeld ist ein Gesetz, das es Vermietern verbietet, Wohnungen an Menschen zu vermieten, von denen sie wissen, dass diese darin Drogen konsumieren werden.
2008
Ein Drittel weniger Langzeitwohnungslose
In Finnland startet „Paavo I“: Obdachlosenunterkünfte werden zu Housing-First-Angeboten umgebaut. Das Programm hat zum Ziel, die Wohnungslosigkeit im Land ganz zu beenden. Bis 2011 kann die Langzeitwohnungslosigkeit schon um 28 Prozent gesenkt werden.
2009
Erfolge in Portugal
In Lissabon startet „Casas Primeiro“, das erste Housing-First-Projekt in Portugal. Das Ergebnis für die Teilnehmer: 87 Prozent weniger Besuche in Notaufnahmen, 90 Prozent weniger psychiatrische Einweisungen. Trotz dieser Erfolge muss das Projekt wegen fehlender öffentlicher Gelder im Jahr 2012 reduziert werden.
2009
Über 1000 Wohnungen
Dänemark ernennt Housing First zum Grundprinzip für die nationale Strategie gegen Obdachlosigkeit. Es werden in 17 Gemeinden über 1000 Plätze zur Verfügung gestellt.
2010
658 Wege nach Hause
In Sydney startet ein Housing-First-Projekt mit dem Namen „Way2Home“. Bis 2020 können dadurch in der Stadt 658 Menschen eine Wohnung finden.
2010
84 Prozent stabil
In Schweden starten die ersten beiden Housing-First-Projekte in Stockholm und Helsingborg; die Wohnstabilität über drei Jahre wird mit 84 Prozent angegeben und das Projekt bleibt dauerhafter Bestandteil des sozialen Wohnprogramms. Fünf Jahre später bieten schon 14 Gemeinden im Land Housing First an.
2011
15.000 Euro weniger
In Frankreich beginnt in vier Städten, darunter Paris, ein Housing-First-Projekt mit dem Namen „Un Chez-Soi d’abord“ (‚Ein Zuhause zuerst‘). Dazu wird eine zweijährige Studie durchgeführt – die einzige groß angelegte klinische randomisierte Studie in Europa. Nach vier Jahren wohnen 85 Prozent der Teilnehmer in eigenen Wohnungen. Es wird geschätzt, dass dem Staat pro Jahr und Teilnehmer etwa 15.000 Euro weniger Kosten entstehen als bei normaler Betreuung.
2011
312 von 335 bleiben wohnen
Das zweijährige Modellprojekt „Housing First Europe“ startet. Es wird von der EU finanziert und wird wissenschaftlich betreut. Die fünf Testgebiete sind Amsterdam, Budapest, Kopenhagen, Glasgow und Lissabon. Die Klienten werden mindestens einmal pro Woche besucht. Nach zwei Jahren fallen nur 23 von 335 Personen aus dem Programm, etwa wegen Rückfalls in die Wohnungslosigkeit oder Inhaftierung.
2012
15.951 Quadratmeter Zuhause
In Wien startet die soziale Organisation neunerhaus eine Housing-First-Initiative. 2017 wird das Tochterunternehmen „neunerimmo“ zur Akquise von Wohnungen und Betreuung von VermieterInnen gegründet. 2021 wurden schon 341 Wohnungen vermittelt, mit 15.951 Quadratmetern Wohnraum.
2012
Mehr Unterstützung
In Finnland startet das Nachfolgeprogramm „Paavo II“ mit einem Fokus auf Wohnberatung und mobiler Unterstützung. Housing-First-Angebote sind zentraler Bestandteil der nationalen Strategie zur Beendigung von Wohnungslosigkeit.
2013
141 Teilnehmer in Belgien
In Belgien startet eine dreijährige Testphase von Housing First in acht Städten mit 141 Teilnehmern. Nach der Testphase wird das Projekt in Sachen Effizienz und Wirksamkeit sehr positiv bewertet und an allen Standorten weitergeführt.
2014
Verdreifachung in drei Jahren
Schon 2011 wird in Irland Housing First explizit als nationale Strategie gegen Wohnungslosigkeit erwähnt. Doch erst 2014 wird in Dublin ein Housing-First-Programm mit 100 Plätzen umgesetzt, das bis 2017 auf 300 Teilnehmer erweitert wird.
2014
38 Chancen in Spanien
In drei Großstädten in Spanien werden durch das Projekt „Hábitat Housing First“ 38 Housing-First-Plätze geschaffen. Neben Personen mit psychischen Erkrankungen und Suchtproblemen werden auch Menschen mit einschränkender Krankheit oder Behinderung aufgenommen.
2015
Family first
In Bologna, Italien, können im Projekt „Tutti a Casa Famiglie“ 42 Familien eine Wohnung nach den Grundsätzen von Housing First beziehen. Die Familien müssen nicht mehr als 30% ihres Monatseinkommens für die Miete aufbringen.
2016
15 Wohnungen in Gießen
Das ZuHAuSE-Projekt in Gießen startet. Bislang konnten 15 Wohnungen für Housing First vermittelt werden. Das Projekt wird vom europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) gefördert.
2017
Kunst für Wohnraum
In Nordrhein-Westfalen startet der Housing-First-Fonds, eine Kooperation des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes des Landes und dem Düsseldorfer Verein der Wohnungslosenhilfe fiftyfifty / Asphalt e.V. Der Fonds fördert den Ankauf und Umbau von Housing-First-Wohnungen. Bislang bekamen 22 Organisationen der Wohnungslosenhilfe Geld daraus. Das Geld stammt aus dem Verkauf von gespendeten Kunstwerken des bekannten Malers Gerhard Richter und anderen Kunstspenden.
2017
Ein Haus, 12 Wohnungen
Die Straßenzeitung Hempels in Schleswig-Holstein startet das Projekt „Hempels hilft wohnen“: Darüber wird ein Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohnungen gekauft, die als Housing-First-Wohnungen vermietet werden. Ein zusätzlicher Neubau auf dem Grundstück ist geplant.
2018
Ein Zuhause in Hannover
Die Stiftung „Ein Zuhause“ in Hannover wird gegründet. Sie baut auf einem Erbpachtgrundstück der Stadt Hannover ein Haus mit 15 Wohnungen gebaut für Housing-First-Klienten.
2018
384 Absagen wegen fehlender Wohnungen
Das dreijährige Modellprojekt „Housing First Berlin“ startet. Das Fazit zum Abschluss: Insgesamt 611 Haushalte wollten in das Projekt aufgenommen werden. Zwei Dritteln von ihnen musste wegen mangelnder Kapazitäten abgesagt werden – sie hätten alle Kriterien für eine Aufnahme erfüllt. 40 Personen, darunter elf Frauen, bekamen eine Wohnung.
2018
Sieben mehr als geplant
In Berlin startet auch das Projekt „Housing First für Frauen“ des Sozialdiensts katholischer Frauen. Das Ziel, bis 2021 30 Frauen in eigene Wohnungen zu bringen, wurde bereits übertroffen: Im Mai 2021 lebten bereits 37 Frauen in durch das Projekt vermittelten Wohnungen.
2019
Empfehlung: Mehr Housing First
Eine europaweite Studie mit über 500 Teilnehmern aus sieben Ländern (Frankreich, Irland, Italien, die Niederlande, Portugal, Spanien und Schweden wird veröffentlicht. Sie kann nachweisen, dass Teilnehmer an Housing-First-Programmen die Obdachlosenhilfe in Bezug auf Wahlmöglichkeiten, Wohnqualität und Zufriedenheit positiver erleben als Teilnehmer von traditionellen Programmen. Die Forschenden empfehlen den Ausbau von Housing-First-Angeboten.
2020
Acht Wohnungen, keine mehr in Sicht
In Basel startet ein Housing-First-Projekt, das von der Heilsarmee betreut wird. Anfang 2021 konnten acht Personen vermittelt werden. Für neue Klienten fehlt es an Wohnraum.
2020
Elf Obdachlose weniger in Köln
Der Vringstreff in Köln startet ein Housing-First-Projekt. Zwei Jahre später sind elf Menschen in Wohnungen eingezogen, die vorher auf der Straße lebten.
2021
25 Mal die Wahl haben
Das Modellprojekt „Eigene Wohnung“ in Leipzig startet. 35 Wohnungen stehen für zunächst 25 Teilnehmer bereit, so dass jede und jeder aus mehreren Wohnungen eine auswählen kann. Insgesamt sind sind für das Projekt bis 2024 1,2 Millionen Euro eingeplant. Die Betreuung der Teilnehmer soll auch dann sichergestellt sein, falls das Projekt danach nicht fortgeführt wird
2022
Offizieller Start in Nürnberg
Im August startet „Housing First Nürnberg“, getragen von vier Nürnberger Vereinen, die Drogenabhängigen, Obdach- und Wohnungslosen und armen Menschen helfen. Schon vor dem offiziellen Start haben sich private Vermieterinnen und Vermieter gemeldet - so konnten bislang acht Wohnungen vermittelt werden.
Stand: August 2022
Die Chronik erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern konzentriert sich nach den internationalen Anfängen von Housing First auf die Entwicklung in Europa und später in Deutschland.
Text: Alisa Müller | strassenkreuzer.info